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Barbara Camilla Tucholski: Zwischen Oberfläche und Tiefenschicht

Maler Manfred aus der Malschule sagte es seiner fünfjährigen Schülerin: Wenn sie einen Tod oder Teufel male, ihn dadurch erschaffe und in die Welt setze, habe sie alle Macht über ihn und bräuchte hinfort keine Angst mehr vor ihm zu haben. Damit spricht Maler Manfred eine alte, seit der Höhlenmalerei bis heute gültige Wahrheit künstlerischer Motivation aus.


„Ich beschäftige mich mit dem Tod, um ihn zu bekämpfen“, sagt Jean Tinguely.1 Des Lehrers Worte leuchteten der kleinen Malschülerin ein und begründeten das bleibende und ständig wachsende künstlerische Interesse Svenja Wetzensteins an den Themen Bedrohung, Verwundbarkeit, Lebens- und Todesangst als existentielle Grunderfahrungen eines jeden Menschen. Als Grundschulkind sah sie während eines Schulausfluges nach Lübeck in der Bürgerkirche Sankt Marien die Fotoreproduktion des allgemein Bernt Notke zugeschriebenen Totentanzes und war, wie sich die Malerin heute erinnert, „gleichzeitig völlig verstört und davon angezogen“.2 Die Darstellung des Todes als ein sich durch den Raum und auf der Fläche drehendes Skelett, eingereiht in einen gemeinsamen Tanz oder Reigen mit den Vertretern und Vertreterinnen aller Stände und Bevölkerungsschichten in allen Altersstufen, sensibilisierte grundlegend die Wahrnehmung der Künstlerin für Ambivalenzen, Diskrepanzen und Widersprüche in der Gestaltung von Lebensläufen und die darin enthaltene Schicksalsfrage nach dem Wann der letzten Stunde.


Als Kunststudentin begegnete Svenja Wetzenstein im Zuge einer Exkursion der Universität zu Kiel nach Sant’ Anna in Camprena während des Zwischenaufenthaltes in Florenz dem Fresco der Heiligen Dreifaltigkeit von Masaccio in der Basilika Santa Maria Novella. Das Bild mit der Darstellung des gekreuzigten Gottessohnes als Opfer für die Erlösung der Menschen, von Gottvater am horizontalen Balken des Kreuzes gehalten mit der ihm zugehörigen Taube des Heiligen Geistes, bewegte sie sehr. Am Fuße des Bildes, parallel zu dem von Gott gehalten Querbalken des Kreuzes, befindet sich ein Sarkophag mit dem auf ihm liegendem Skelett Adams und einem lateinischen Schriftzug, dessen Sinngebung lautet: „Ich war das, was Ihr seid, und Ihr werdet sein, was ich bin.“

Die Interdependenz von Tod und Eros, des Sichtbaren mit dem gleichzeitig Unfassbaren und Ungeheuerlichen, das göttliche Außer-sich-Sein in der körperlichen Ohnmacht des Gekreuzigten beschäftigt zunehmend die bildnerische Phantasie der jungen Künstlerin in der Suche nach der eigenen Identität.

So entsteht, durch die Skulptur der Pietà von Wilhelm Achtermann in dem Münsteraner Dom angeregt, 2018 ein Selbstporträt als Mutter mit Kind im Zusammensein mit der Gottesmutter, die den hingesunkenen Leichnam ihres Sohnes beweint. Sichtlich betroffen von dem schrecklichen Geschehen ist die Künstlerin im Begriff, ihren Weg mit ihrem im Arm gehaltenen Sohn zu gehen, nach links hinaus aus dem Bild. Das Gesicht des kleinen Jungen zeigt den soeben erfahrenen Schmerz. Seine Schwester, ihr Kopf in direkter Aufsicht, ist in der linken unteren Bildecke gerade noch zu sehen, wendet ihren Blick zurück zum Ursprung des Geschehens. Ihr Interesse an dem Zwiespalt von Angst, Grauen und Faszination führt die Künstlerin selbst auf einen manchmal wiederkehrenden Traum ihrer Kindheit zurück:

„Ich öffnete die Tür unserer Speisekammer, und zwischen all den Dingen saß ein Skelett. Das grinste mich an und sagte Hallo. Und ich schlug die Tür wieder zu, weil ich solche Angst hatte. Gleichzeitig hatte ich aber ein extrem schlechtes Gewissen, weil ich dachte, es kann nichts dafür, dass es schauerlich aussieht. Es war nett. Man darf Menschen – und das war doch zumindest mal ein Mensch – nicht in engen dunklen Kammern einschließen. Diesen Zwiespalt fand ich immer wieder, Angst und Faszination.“3

Unschwer zeigt sich hier die uralte Verschränkung von Eros, Ekstase und Thanatos, der konfliktreiche Zusammenhang von Lust und Tod und die gesellschaftlich erfolgte Tabuisierung dieser Kräfte mit ihrem zerstörerischen Potenzial. 

Die Gefahr des gebrochenen Tabus steigert sich im Bewusstsein der Moderne zum Bewusstsein einer inszenierten Provokation der bürgerlichen Konventionen. „Gott ist tot“ verkündet Friedrich Nietzsches Zarathustra, und Nietzsches mannigfaltige Tanzmetaphern dürften auch im Kontext eines Totentanzes zu sehen sein.4

Wenn auch die mittelalterlichen monumentalen Totentanzdarstellungen auf Friedhofsmauern und Kirchenwänden im 16. Jahrhundert ihren Abschluss finden, bleibt der Tod ein zentrales Thema der künstlerischen Wahrnehmung bis heute. „Tod und Leid waren ja immer ein Thema der Kunst. Es ist ja sowieso d a s Thema, das haben wir uns erst heute abgewöhnt, mit unserer netten Lebensweise“, kann Gerhard Richter noch Ende des vergangenen Jahrhunderts sagen.5


In der Renaissance und im Barock findet das Todesthema dramatischen Ausdruck in den zahlreichen Darstellungen der Pietà und in den Kreuzigungsszenen wie in der des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald oder der Kreuzigung des Heiligen Petrus von Caravaggio in der Basilika Santa Maria del Popolo in Rom. Tradiert über die vielen Vanitas-Stillleben des 17. Jahrhunderts bleibt das Unfassbare der permanenten Todesgegenwart ein mehr oder weniger verschlüsseltes Grundmotiv der Kunst bis in unsere Gegenwart. In Nicolas Poussins Arkadien steht ein Sarkophag, und Antoine Watteaus Gilles, auch Pierrot genannt, präsentiert sich in dem Kostüm eines Clowns gleichzeitig in der traurigen Gestalt des Ecce Homo, der ganzen Welt ausgeliefert mit der Wehmut und Melancholie nicht zu umgehender Vergänglichkeit allen Lebens. Zahlreiche Todessymbole durchziehen das zeichnerische und malerische Werk Caspar David Friedrichs. Bei Arnold Böcklin sehen wir die Insel der Toten, und in der Moderne äußert sich der ständige Kreislauf von Werden und Vergehen in einer neuen Bildsprache abstrakter Zeichen wie in der „Insula dulcamara“ von Paul Klee. Im Zentrum des Bildes schwebt der Kopf eines toten Lebenden oder lebenden Toten in der ihn umgebenden Grenzenlosigkeit des Raumes. Eine Begegnung zwischen dem Tod und den einzelnen individuellen Menschen in beiläufigen Situationen des Alltags, wie sie in den Bildern von Svenja Wetzenstein dargestellt sind, finden wir schon früh in den Radierungen Daniel Nikolaus Chodowieckis.6


Chaos, Zerstörung und Neuschaffen als Lebens- und als Kunstimpuls äußert sich seit den 60er-Jahren in den neuen Kunstformen eines erweiterten Kunstbegriffs im Sinne von Joseph Beuys und dem generell formulierten Postulat von dem Tod der Malerei schlechthin.7 Der performative Charakter des mittelalterlichen Totentanzes aber findet eine Fortsetzung

in den heutigen Variationen von Aktion, Happening, Installation, Inszenierung und vor allem der Performance. Unter diesem Aspekt sei an Ulrike Rosenbachs Drei-Kanal-Video-Installation „Or-Phelia“ von 1987 erinnert. Die in einem gläsernen Sarg liegende Gestalt bewegt sich in einem Wechselbereich von Leben und Tod. Auch Rebecca Horn geht es in ihren Performances und kinetischen Installationen um die Ambivalenz von Leben und Tod in einem „Tanz der Apparate“.8 In dem Kunstprojekt einer ästhetischen Inszenierung eines sterbenden Menschen radikalisiert Gregor Schneider 2008 die Enttabuisierung des Todes als ein Skandalon für eine schockierte Öffentlichkeit. 


Der Schrecken hat uns spätestens seit dem italienischen Bergamo 2020 eingeholt. Mit der Pandemie und ihrem Virus lässt sich der Tod nicht länger verdrängen. „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen.“9 Der Totentanz ist wieder da. Seine Aktualität kündigte sich bereits in der Kunst der letzten Jahre an. 2016 diente das gesamte Stadtgebiet von Bern als Kulisse für das Projekt „Danse macabre – der Totentanz in der zeitgenössischen Kunst“. Und 2020 eröffnete das Bündner Kunstmuseum aus Anlass der abgeschlossen Restaurierung des „Churer Totentanzes“, der 1534 nach Vorlagen Hans Holbeins d.J. geschaffen wurde, eine Ausstellung des Totentanzes im Kontext der zeitgenössischen Kunst. 


Den Totentanz als heutigen Tanz in den Abgrund des Lebens thematisieren in diesem Jahr die großen Choreographien von Trajal Harrell am Schauspielhaus Zürich. Und in Salzburg stürzen sich Romeo Castellucci und Teodor Currentzis mit ihren Inszenierungen „in den Todestanz der Endzeit.“10 Auch im französischen Pavillon auf der Biennale Venedig 2022 mögen mit der Präsentation „Dreams have no Titles“ von Zineb Sedira subtil Reminiszenzen an die höchst aktuelle Bedeutung des Totentanzes anklingen. Zeigen doch Filmszenen in ihren sich überlagernden Sinnschichten die rätselhafte Verknüpfung eines Sarkophags mit einer handarbeitenden Frau, ein mit unerfüllter Sehnsucht und der Ahnung eines baldigen Endes aller Träume tangotanzendes Paar und eine den „Dance to the Tango of Life“ in Lebensbejahung Tanzende, die sich damit dialektisch in actu der unabdingbaren Todesverheißung alles Lebenden entgegenstellt.11 


In Anbetracht dieser umfangreichen Variabilität des Totentanzes seit Hans Holbein d. J. bis in die jüngste Gegenwart ist Rainer Stöckli zuzustimmen, dass auch die Einzelszene als Totentanz-Szene gelten darf.12In dieser Entwicklung dürften auch die Todestanzbilder von Svenja Wetzenstein zu sehen sein. Wenn es sich auch nicht um unmittelbare Darstellungen eines Tanzes von Tod und Mensch handelt, so sind es doch körperlich und räumlich sehr enge Beziehungen in den jeweiligen Begegnungen ihrer Maskierungen. „Über all die Jahre ist der Totentanz ein Thema geblieben, das mich sehr interessiert und nicht loslässt“,

bekennt die Künstlerin während einer gemeinsamen Werkbetrachtung in dem Atelier von Künstler Gut Loitz der Autorin dieses Textes. Um Motive für ihr langgeplantes Projekt einer Totentanzserie zu finden, besuchte Wetzenstein 2019, bereits ein Jahr vor dem Ausbruch der Corona-Epidemie, das mittelalterliche Phantasie-Spectaculum in Luhmühlen. „Dort begleitete ich einen als Sensenmann gekleideten Darsteller über die Dauer eines Tages auf dem Festival. So entstanden ca. 500 Fotos, aus denen ich die für meine Totentanzbilder prägnanten aussuchte. Für die Fotos wählte ich Situationen, in denen der Tod mit möglichst verschiedenen Menschen interagiert.“13


An die Stelle des mittelalterlichen Tanzes und Reigens setzt Svenja Wetzenstein die narrative Aktion, die Situation des zwischenmenschlichen Handelns in den Fokus ihres künstlerischen Interesses.Die Künstlerin hat ihrer Serie der Totentanzbilder einen Namen gegeben, der dem des mittelalterlichen „Danse macabre“ in seiner poetischen Nuancierung diametral entgegensteht: „Als eine Wiesenblum, die man nicht wiederfind’t“. Diese Verszeile aus dem Sonett „Alles ist eitel“ des barocken Dichters Andreas Gryphius bringt neben seiner Mahnung des memento mori eine wehmütige Haltung des Unwiederbringlichen zum Ausdruck.


Der Themenkomplex der Totentanzbilder umfasst 29  kleine, mit Ölfarbe auf Birkenholzplatten gemalte Bilder in dem Format zwischen 20 x 15 und 50 x 40 cm. (Serie Totentanz >>>) Schon diese Intimität des kleinen Formates erzeugt mit der Gewaltigkeit des Themas eine erhöhte Spannung, zumal die abrupte Ausschnitthaftigkeit der dicht in den Vordergrund gezoomten Situation den Bildrahmen zu sprengen droht. Im Fokus der Bilder steht oftmals die Gestalt des Todes als Skelett, eingehüllt in seinen Kapuzenmantel, dessen lichte Dunkelheit aus einem Geflecht violett-blau-grüner Farbflecken in mannigfaltigen Abstufungen besteht und so eine eigene Leuchtkraft dem absoluten Schwarz der Kostümvorlage von John Sinclair entgegensteht.14 Meist hält der Tod, im Mittelalter auch Schnitter genannt, in der rechten Hand sein Instrument der Sense, während er mit der linken die Menschen zu umarmen oder zu ergreifen sucht. Gleichwohl verbreitet er allem Anschein nach keinen Schrecken, sondern präsentiert sich als vertrauter Begleiter und Mitspieler der Menschen in der jeweiligen Situation ihrer zufälligen Begegnung auf dem mittelalterlichen Spectaculum.


Der Tod stellt sich auf dem Bild Totentanz 21 (Kreuzritter) in die Reihe der Kreuzritter, offenbar bereit, an ihrem Eroberungszug nach Jerusalem teilzunehmen. Sein Schädel-Gesicht ist uns im Dreiviertel-Profil zugewandt und verschmilzt nahezu mit dem Kopf der linken Rückenfigur des Ritters, der in seinem breiten weiß-rot-flammenden Mantel mit dem roten Kreuz-Signal seiner Identität das Dazwischentreten des Todes nicht zu bemerken scheint. Ob die an dem rechten Bildrand aufgerichtete, linksseitig zu sehende Rittergestalt den Tod erkannt hat, bleibt ungewiss. Eher scheint sein Blick gleichgültig über den Tod hinweg in die Ferne zu schweifen. So kann der Tod unbemerkt von den Glaubenskämpfern siegreich mit dem Stock seiner Sense die Mittelachse des Bildes einnehmen und ihn unkon-trolliert in die blitzend aufgerichteten Lanzen der Ritter einreihen. 


Im Gegensatz zu diesem seltsam vertraut-unnahbaren Nebeneinander von Tod und Ritter zeigen sich auf dem Bild Totentanz 17 (Narr) der Tod und der mittelalterliche Till Eulenspiegel als ein sich gegenseitig zugewandtes Paar. Der Narr, mit seinem leuchtenden Gewand im komplementären Rot-Grün und der goldgelben Narrenkappe mit Schultertuch, die rechte Bildhälfte gleichermaßen einnehmend und ausfüllend, schiebt sich mit einer vertraulichen Mitteilung dicht an den Tod heran, mit dem erhobenen Zeigefinger deren mahnenden Inhalt Nachdruck verleihend. Seine Worte könnten sich auf die Eitelkeit aller Lebensentwürfe beziehen. Der Tod vernimmt des Narren Wahrheit in konzentrierter Aufmerksamkeit. Sein Gesicht verlängert sich in das Gesicht der Stabpuppe, die der Narr dem Tod entgegenhält und die sich in parallelem Verlauf zu dem Sensenstock befindet, der ohne Anfang und Ende über die gesamte Bildfläche verläuft. In mehreren Bildern taucht das für unsere Zeit sehr prägende Markenzeichen auf, das Mobilfunkgerät, schlicht Handy genannt. Dieses Sinnbild für die gleichermaßen erstrebte und verfehlte Kommunikation und Interaktion zwischen den Menschen könnte somit das typische Vanitas-Symbol unserer Gegenwart schlechthin generieren. Es raubt Zeit.


Auf dem Bild Totentanz 16 trifft der Tod auf einen intensiv mit dem Handy beschäftigten Landser, der sich, seinem mit Gerät reich bestücktem Gürtel zufolge, auf einer größeren Wanderschaft befindet – die Ankunft des Todes nicht bemerkend. Beide sind von den Grenzen ihrer gemeinsamen Bildfläche dicht aneinandergedrängt und begegnen sich auf einem schmalen Gang zwischen der Leere des Bildgrundes. Im oberen Viertel des Bildes bilden der Kopf des Landsers, das Schnittblatt der Sense und der Schädel des Todes mit dem in den Händen des Landsers nicht klar zu erkennenden Handy die Endlosschleife einer sich bis ins Unendliche leerlaufenden Kreisbewegung. 


In dem Bild Totentanz 11 richtet ein kleiner Junge, dessen Hinterkopf in starker Aufsicht bis zur Mitte des Bildes reicht, mit beiden Händen sein Handy auf irgendetwas, was nicht auf dem Desktop des Gerätes erscheint, es sei denn als ein abstrakter Ausschnitt aus dem Gewand des Todes, der leibhaftig vor ihm steht. 


Die geradezu körperlich-intensive Nähe zu dem Tod indes sucht in dem Bild Totentanz 14 (Umarmung)eine korpulente Frau in Jeans. In ihrer heftigen Umarmung mit der Gestalt des Todes verschmelzen beide in einem einheitlichen Farb-Lichtraum aufgefächerter Nuancen aus dem komplementären Kontrast Blau-Orange und seiner mannigfaltigen Graus zu einer untrennbaren Form. Der rechte Unterarm der Frau verläuft parallel zu der Schnittfläche der Sense. Die Frau scheint in ihrer Hingabe Trost und Beistand zu suchen, eine Auflösung ihrer Selbst im Anderen, eine Erlösung durch den Tod. 


In dem Tod des gehenkten Todes, Bild Totentanz 23 (gehenkt) findet der mittelalterliche „Danse macabre“ den Höhepunkt des Makabren, die apokalyptische Vorstellung von dem Ende des ewig wiederkehrenden Zyklus von Werden und Vergehen. Der Tod des Todes in absoluter Einsamkeit als Ende allen Lebens oder als Ende des Endes allen Lebens?


Dem Tod als Ende allen Lebens stellt sich Svenja Wetzenstein als Malerin in dem letzten Bild aus dem Zyklus der Wiesenblum Totentanz 29 (der Tod und seine Malerin) mit aller Entschlossenheit frontal entgegen. Ihr leuchtend rotes Mieder signalisiert den letztlich vitalen Sieg der schöpferischen Energie eines memento vivere über das memento mori ihres Gegenübers mit der Sense in der Knochenhand. Nur die Kunst vermag den Tod zu bannen, wie es Maler Manfred vor vielen Jahren seiner kleinen Schülerin versprach. 


Neben dem Tod taucht in der Serie der Totentanzbilder von Svenja Wetzenstein eine weitere schwarzgekleidete Person auf, die sich mit der Schnabelmaske als mittelalterlicher Pestdoktor zu erkennen gibt (Serie Dr. Schnabel >>>). Könnte es sich bei dieser Figur wiederum um die Künstlerin als Widerpart des Todes handeln? Mit ihrem oft benutzten Handy in der Hand jedoch zeigt sie ihre zeitgenössische Zugehörigkeit, was der Künstlerin ein besonderes Anliegen ist. Es ist ihr wichtig, „dass es sich eindeutig um Situationen handelt, die in der jetzigen Zeit verortet sind.“15


Auf dem Bild Doktor Schnabel kauft ein 3 erwächst aus diesem Handy des Doktors ein Vogel-Mensch-Mischwesen, wie es aus dem chinesischen Puppenspiel entlehnt sein könnte. Zwischen beiden scheint es eine besondere Form der künstlerischen Verständigung zu geben. Die Phantasie im Sinne eines Novalis als Heilmittel gegen die Pest? 


Auf dem Bild Doktor Schnabel kauft ein 1 ist dieser Pestdoktor in einem Supermarkt zu sehen. Ist er im Begriff, die Ware aus dem prall gefüllten Einkaufswagen auf das Kassenlaufband zu legen oder hat er soeben den letzten Artikel von der Kassentheke genommen und ihn der Warenanhäufung hinzugefügt? In der klassischen Haltung einer Ponderation, in dem angehaltenen Augenblick einer nachfolgenden schnellen Bewegung, dreht sich die leicht gebückte Gestalt um die eigene Achse zur rechten Bildseite, während sich der Schnabelkopf zur linken Seite wendet und den wachsam prüfenden Blick hinter der Schutzbrille über die Bildgrenze hinaus gleiten lässt. Der Kapuzenkopf des Doktors überschneidet ein hinter ihm an einer zu imaginierenden Wand hängendes Werbeplakat, auf dem eine blonde Frau zu sehen ist, deren Augen die Blickrichtung des Pestdoktors begleiten. Sehen wir ihn selbst als ertappten Konsumenten oder ist die Welt des Konsums seiner Behandlung bedürftig?


Die Gewissheit einer eindeutigen Ortsbestimmung ist auch in diesem Bild, wie in all den anderen Bildern dieser Reihe, nicht erreichbar. Der Tod und die Menschen, die Männer und Frauen, die Alten und die Jungen, die Dicken, die Dünnen, die Armen und die Reichen treffen in ihrer Verkleidung zufällig aufeinander, sind im Schnappschuss des Augenblicks dicht herangezogen an das Blickfeld. Im Ernstfall des Spiels käme dieses Zusammentreffen einer Sensation gleich, hier konkurriert die Erscheinung des Todes auf dem Hintergrund der allgemeinen Maskerade mit der Alltäglichkeit des Banalen. Gleichwohl lauert in ihr die Gefahr. Ein tragfähiger Boden gemeinsamer Interaktion ist den Figuren des Festivals mit wenigen Ausnahmen generell entzogen. 


Die Menschen agieren in ständiger Begleitung und Anwesenheit des Todes, sind aber mit sich selbst beschäftigt in einem bodenlosen Raum der Illusion. Einen gemeinsamen Reigen und Tanz in gleichem Schritt und Tritt in einem einheitlichen Rhythmus, wie er in den historischen Totentänzen zum Gleichnis der Aufhebung aller Unterschiede wird, gibt es nicht mehr.


Mit einer Ausnahme.

Auf dem Bild Totentanz 19 (Tod und Mädchen) sehen wir einen wirklichen Tanz des Todes mit einem kleinen Mädchen. In anrührender Geste liegt die kleine Hand des Kindes in der nahezu zärtlich anmutenden Knochenhand des Todes im Zentrum des Bildes und erinnert von Ferne an die himmlisch-irdische Berührung der Hände von dem soeben geschaffenen Adam mit seinem Schöpfergott von Michelangelo. Gleichzeitig ruft das rote Kopftuch der kleinen Tänzerin Assoziationen an Rotkäppchen und den bösen Wolf hervor. Die Todesgestalt nimmt die rechte Bildhälfte ein, türmt sich hoch wie ein dunkles Gebirgsmassiv ganz im Gegensatz zu ihrer dem Mädchen zugewandten Neigung. In seiner Tanzdrehung reicht das Kind seine rechte Hand über den linken Bildrand hinaus, vielleicht einer weiteren Tänzerin oder einem weiteren Tänzer entgegen. Hier ereignet sich ein Totentanz in dem Reigen von Werden und Vergehen auf der Matrix der ewigen Wiederkehr des Gleichen,wie auch auf allen anderen Bildern der Serie. Diese Matrix ist die Maserung des Holzes als Grundfläche der Malerei. Die Holzstruktur ist die ständige Mitspielerin aller bildnerischen Entwürfe und ihrer Komposition. Diese Matrix hält die Menschen in ihrer – trotz aller Jahrmarktsgeselligkeit – umgebenden Leere zusammen. Sehen wir, wie die Struktur der Maserung auf dem Bild des gemeinsam tanzenden Paares von dem linken Bildrand keilartig wie ein Schub energetisch über die Fläche strömt, das Mädchen umgibt und weiter mit demselben Impuls in die Gestalt des Todes fließt. Die Schnittfläche des Holzes verbindet sich farblich mit der Hautfarbe und garantiert so das Inkarnat, die Fleischwerdung der Figuren. In der etymologischen Herleitung des Wortes Maserung ist diese Verbindung enthalten in der umfassenden Bedeutung von Muster, Fleisch und Wundmal.16

Die Verwundbarkeit als gemeinsame Schnittfläche bildet die Tiefenschicht, in die die Oberfläche des menschlichen Treibens eingelassen ist. Man denke an Kants bekannten Satz, die Menschen seien aus so krummem Holz gemacht, dass aus ihnen „nichts ganz Gerades gezimmert werden könne.“17 So ist die Holzstruktur sowohl als ästhetische als auch inhaltliche Komponente von der Künstlerin bewusst eingesetzt.


Die Malerin aber verbindet in ihren Bildkompositionen Figur und Grund vor allem mittels der Farben in einer lustvollen Auffächerung unendlich nuancierter Tonfolgen in Nachbarschaften und Polaritäten. Einzelne Farbtupfer verlassen die Gegenstandszonen auf der Oberfläche und versprühen sich in die Tiefenschichten der abstrakten Zeichnung der Maserung ihres gemeinsamen Grundes, der humanitären Verwundbarkeit ihrer Allen gemeinsamen Schnittfläche.


1: Heinz Norbert Jocks, „Ich beschäftige mich mit dem Tod, um ihn zu bekämpfen.“ Ein Gespräch mit Jean Tinguely, in: Kunstforum international, Bd. 115 (1991), S. 266–275, hier S. 266. 

2: Svenja Wetzenstein, unveröffentlichtes Manuskript, 2022.

3: Ebenda.

4: Hellwig Linus, Vom Tod Gottes in Nietzsches „Also sprach Zarathustra“, München 2017.

5: Gerhard Richter/Jan Thorn-Prikker, Gespräch über den Zyklus „18. Oktober 1977“, in: Parkett. Kunstzeitschrift/Art Magazin, Nr. 19 (1989), S. 127–136, hier S. 128.

6: Thomas Leßmannn, Der Totentanz. Zur motivgeschichtlichen Genese und Aktualität eines didaktischen Mediums des Spätmittelalters, in: AugenBlick. Marburger Hefte zur Medienwissenschaft, Heft 43 (2008), S. 15–27.

7: Johannes Meinhardt, Ende der Malerei und Malerei nach dem Ende der Malerei, in: Kunstforum international, Bd. 131 (1995), S. 202–246. 

8: Susanne Weingarten, Der Tanz der Apparate, in: Der Spiegel 10/1994 (https://www.spiegel.de/kultur/der-tanz-der-apparate-a-835f77ad-0002-0001-0000-000013685708, Zugriff am 06. Oktober 2022).

9: Martin Luther, in: Evangelisches Gesangbuch, Lied Nr. 518, Kiel 2013.

10: Wiebke Hüster, Worin wir alle gleich sind. Tanz als existenzielles Erlebnis, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 12.09.2022, S. 13. Siehe auch Jürgen Kersting, Das Diesseits ist die Hölle, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 28.07.2022, S. 11.
11: Diesen Hinweis verdanke ich Susanne Lanwerd, Kulturwissenschaftlerin, Berlin/Zürich.

12: Rainer Stöckli, Zeitlos tanzt der Tod. Das Fortleben, Fortschreiten, Fortzeichnen der Totentanztradition im 20. Jahrhundert, Konstanz 1996, S. 52.

13: Svenja Wetzenstein, unveröffentlichtes Manuskript, 2022.

14: Svenja Wetzenstein, Interview mit dem Tod, in: Künstlerbuch „Als eine Wiesenblum, die man nicht wieder find’t“ – ein Totentanz | Like a meadow flower that you can’t find again – a danse macabre, Bremen 2022, S. 35 und 65.

15: Svenja Wetzenstein, unveröffentlichtes Manuskript, 2022.

16: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, erarbeitet unter der Leitung von Wolfgang Pfeiffer, München 2000, S. 844.

17: Immanuel Kant, in: Isaiah Berlin, Das krumme Holz der Humanität, Berlin 2009, S. 5.

Barbara Camilla Tucholski: Between surface and deep layers

Manfred, a tutor at the painting school, said to his 5-year-old student: “If you paint death or the devil and thereby create him and place him in the world, you have all the power over him and don’t need to be afraid of him anymore.” With this, painter Manfred speaks an old truth of artistic motivation that has been valid from cave painting until today. 


“I deal with death in order to fight it”says Jean Tinguely.1 The teacher’s words made sense to the young art student. They gave rise to Svenja Wetzenstein’s enduring and constantly growing interest in the themes of threat, vulnerability and the life/death anxieties in everyone’s fundamental existential experiences. As a primary school student visiting the Bürgerkirche Sankt Marien in Lübeck, she saw the photographic reproduction of the Dance of Death generally attributed to Bernt Notke. As the painter remembers today: “I was completely disturbed by it and simultaneously drawn to it.”2 The representation of death as a skeleton turning through the space and over the surface, lined up in a communal or round dance with representatives of all classes and strata of the population in all ages, fundamentally sensitised the artist's perception to ambivalences, discrepancies and contradictions in the shaping of the courses of life and the fateful question preserved therein as to when the last hour would come.


As an art student, Svenja Wetzenstein saw Masaccio's fresco of the Holy Trinity in the Basilica of Santa Maria Novella during a stopover in Florence on an excursion by Kiel University to Sant’ Anna in Camprena. The image presenting the crucified Son of God
as the sacrifice for the redemption of humankind and God the Father holding the horizontal beam with the Dove of Peace moved her intensely. At the base of the image, parallel to the horizontal beam held by God, is a coffin on which Adam’s skeleton lays and a Latin inscription stating: 
“I was that which you are, and you will be what I am.” 


The interdependence of death and Eros, the invisible with the simultaneously incomprehensible and monstrous, the divine distress in the physical helplessness of the crucified increasingly occupied the pictorial imagination of the young artist in her search for her own identity.

Thus, in 2018, inspired by the sculpture of Wilhelm Achtermann's Pietà in Munster Cathedral, she created a self-portrait as a mother with child in the company of the Mother of God weeping over the limp corpse of her son. Visibly affected by the terrible event, the artist is about to go out of the picture to the left with her son held in her arms. The little boy’s face shows the pain he has just experienced. His sister, her head in direct view, is just visible in the bottom left corner of the image as she turns her gaze back to the source of the event. The artist’s interest in the discord between anx-iety, dread and fascination leads her back to a dream she had at times in her childhood: “I opened the door to our pantry, and a skeleton was sitting in the middle of everything. He grinned at me and said hello. I slammed the door shut because I was so afraid. At the same time, I felt guilty because I thought he couldn't help that he looked so gruesome. He was nice. One shouldn’t shut people in a dark cupboard, and he was once a person. I constantly experienced this conflict: fear and fascination.”3

It is easy to see here the ancient intertwining of Eros, ecstasy and Thanatos, the conflict-ridden connection between lust and death and the social tabooing of these forces with their destructive potential. 

The danger of the broken taboo intensifies in modern consciousness into the consciousness of a staged provocation of bourgeois conventions. “God is dead”, announces Friedrich Nietzsche’s Zarathustra, whose diverse dance metaphors may also be viewed in the context of a Dance of Death.4 Even if the mon-umental Middle Ages representations of the Dance of Death on cemetery and church walls came to an end in the 16th century, death has remained a central theme in artistic perception until today. At the end of the last century, Gerhard Richter could still say: “Death and sorrow were always a subject in art. It is indeed  t h e  subject. But we have given it up today because of our pleas-ant lifestyles.”5


During the Renaissance and the Baroque eras, the topic of death found dramatic representations in Pietà and crucifixion scenes, as in the Isenheim Altar from Matthew Grünewald or Caravaggio’s Crucifixion of St. Peter in the Basilica of Santa Maria del Popolo in Rome. Inherited in the many vanitas still lifes of the 17th century, the incomprehensibility of the permanent presence of death remains a more or less encoded underlying motif of art right up to the present day. In Nicolas Poussin's Arcadia, there is a sarcophagus, and Antoine Watteau's Gilles, also called Pierrot, presents himself in the costume of a clown in the sad guise of Ecce Homo, at the mercy of the whole world with the wistfulness and melancholy of the inevitable transience of all life. Numerous symbols of death permeate the drawings and paintings of Caspar David Friedrich. In the works of Arnold Böcklin, we see the Isle of the Dead and, in modernism, the constant cycle of becoming and passing away is expressed in a new pictorial language of abstract signs such as in Paul Klee's "Insula dulcamara”. In the centre of the painting, the head of a dead living or living dead person floats in the boundlessness of space surrounding it. Encounters between death and individual people in casual everyday situations, as presented in Svenja Wetzenstein’s images, could already be found in the etchings of Daniel Nikolaus Chodowiecki.6


Chaos, destruction and new creation as impulses in both life and art have manifested since the 1960s in new forms of an extended concept of art in the spirit of Joseph Beuys and the generally formulated postulation of the death of painting per se.7 The performative character of the medieval Dance of Death, however, finds a continuation in current variations of actions, happenings, installation, stagings and, above all, performance. From this point of view, it is worth recalling Ulrike Rosenbach's three-channel video installation "Or-Phelia" from 1987. The figure lying in a glass coffin shifts between the alternating conditions of life and death. Rebecca Horn’s performances and kinetic installations, too, concern the ambivalence between life and death in a "dance of apparatuses".8 In 2008, Gregor Schneider’s art project of the aestheticised staging of a dying person radicalised the de-tabooing of death and scandalised a shocked audience.


The terror recently caught up with us in Bergamo, Italy, in 2020. Given the pandemic and the virus, death can no longer be pushed aside. “We are surrounded by death in the middle of life.”9 The Dance of Death is here again. Its topicality was already present in the art of the last few years. For example, in 2016, the whole urban area of Bern served as the setting for the project “Dance Macabre – der Totentanz in der zeitgenössischen Kunst” (Dance Macabre  – the Dance of Death in Contemporary Art). And in 2020, the Bündner Kunstmuseum opened an exhibition on the Dance of Death in the context of contemporary art when celebrating the completed restoration of the "Churer Totentanz" (Dance of Death in Chur), which was created in 1534 based on originals by Hans Holbein the Younger. 


The Dance of Death as a contemporary dance into the abyss of life is the theme of Trajal Harrell's major choreographies at the Schauspielhaus Zürich (Zurich Theatre) this year. And in Salzburg, Romeo Castellucci and Teodor Currentzis "plunge into the death dance of the end times" with their productions.10 In the French pavilion at the Venice Biennale 2022, the presentation “Dreams have no Titles” by Zineb Sedira may be subtly reminiscent of the highly topical significance of the Dance of Death. In their overlapping layers of meaning, film scenes show the enigmatic connection between a coffin and a woman working by hand, a couple dancing the tango with unfulfilled longing and the foreboding of an imminent end to all dreams, and a woman dancing the "Dance to the Tango of Life" in affirmation of life, who thus dialectically opposes the inescapable promise of death to all living things.11 


In view of this wide-ranging variability in the Dance of Death from the time of Hans Holbein the Younger until today, we must agree with Rainer Stöckli that the individual scene can also be considered a Dance of Death scene.12 Thus, we may also understand the Dance of Death images of Svenja Wetzenstein within this development. Even if they are not direct representations of a dance between death and people, there are still very close physical and spatial relationships in the respective encounters with their maskings. “In all these years, the Dance of Death has remained a theme that has greatly interested me and won’t let me go”, the artist acknowledges to the author of this text during a joint viewing of her work in the studio at Künstler Gut Loitz. In her search for motifs for the long-planned project of a Dance of Death series, Wetzenstein visited the medieval fantasy spectacle at Luhmühlen in 2019, a year before the pandemic outbreak. “There, I accompanied a performer dressed as a grim reaper for a whole day at the festival. This resulted in about 500 photos, from which I selected the most striking ones for my death dance images. For the photos, I chose situations in which death interacts with as many different people as possible.”13


Svenja Wetzenstein sets the focus of her artistic interest on the narrative action, in interpersonal activities rather than the medieval and round dances. The artist has given her series of Dance of Death paintings a name diametrically opposed to that of the medieval "danse macabre" in its poetic nuance: “Like a meadow flower that you can’t find again.” 

This line of verse from the sonnet “Es ist alles eitel” (All is vanity) by the Baroque poet Andreas Gryphius expresses a melancholic perspective towards the irre-vocable as well as his reminder of the memento mori.


The thematic cluster of Dance of Death images includes 29 small oil paintings on beechwood panels in formats between 20 x 15 and 50 x 40 cm (series danse macabre >>>). The intimacy of the small format combined with the power of the theme, and especially the abrupt cropping of the situation zoomed closely into the foreground that threatens to breach the picture frame, create an increased tension. The focus of the images is often the figure of Death as a skeleton, wrapped in his hooded cloak, whose light darkness consists of a mesh of violet-blue-green patches of colour in multiple gradations, thus creating a luminosity of its own in contrast to the absolute black of John Sinclair's costume template.14 Death, also called the Reaper in the Middle Ages, usually holds his scythe in his right hand while he puts his arm around or attempts to grasp people with his left. Nevertheless, he does not seem to spread terror but presents himself as a familiar companion and co-player of the people in the respective situation of their chance encounter at the medieval spectacle.


Death presents himself in the image danse macabre 21 (crusader) in the ranks of crusaders, ready to participate in their campaign to conquer Jerusalem. His skull-face is turned towards us in three-quarter profile and almost melts into the head of the left rear-view figure of the knight who, in his broad white-red flaming coat with the red cross symbol of his identity, does not seem to notice the intrusion of Death. It remains to be seen whether the knightly figure standing on the right edge of the picture and looking to the left has recognised him as the knight’s gaze seems to be roaming past him and into the distance. Thus Death is able to successfully occupy the central axis of the image, the shaft of his scythe in his hand, and line himself up unchecked in the flashing raised lances of the knights – all without the religious fighters noticing him. 


In contrast to this strangely familiar yet disconnected juxtaposition of Death and the knight, in danse macabre 17 (fool), Death and the medieval Till Eulenspiegel are presented as a couple turned towards each other. The jester, with his bright robe in complementary red-green and golden-yellow jester's cap and shawl, equally occupying and filling the right half of the picture, draws close to Death with a confidential communication, emphasising his admonishing words with a raised forefinger. He could be referring to the vanity of all life plans. Death listens to the jester’s words with intense concentra-tion. His face lengthens into that of the stick puppet held by the jester in a parallel line to the scythe handle that extends through the image without beginning or end. The very distinctive trademark of our times, the mobile telephone, called a ‘handy’ in German, appears in several paintings. This symbol for the equally attempted and failed communication and interaction between people could thus generate the typical vanitas symbol of our times par excellence. It steals time.


In the picture danse macabre 16, Death encounters a countryman intensely occupied with his mobile phone, who, according to his belt richly equipped with gadgets, is on a major walkabout – unaware of the arrival of Death. They are pushed close together by the borders of the picture surface and encounter each other in a narrow area between the empty spaces of the picture ground. In the upper quarter of the picture, the head of the countryman with the not clearly recognisable mobile phone in his hands, the cutting blade of the scythe and the skull of Death create an endless loop of circular movement running into infinity.  


In danse macabre 11 a little boy, the back of his head reaching to the middle of the picture in a top-down perspective, points his mobile phone with both hands at something that does not appear on the device's screen except as an abstract cut-out of Death's robe, even though Death is standing before of him. 


In danse macabre 14 (hug), however, a corpulent woman in jeans seeks an almost physically intense proximity to death. As she closely hugs the form of Death, they both melt into a uniform colour-light space of fanned-out nuances of blue-orange complementaries and its many greys into an inseparable shape. The woman’s right underarm runs parallel to the cutting edge of the scythe. She seems to seek comfort and support in her devotion, a dissolution of her self in the other, a redemption through death. 


The medieval “Danse macabre” finds its climax in the death of hanged Death danse macabre 23 (hanged) – the apocalyptic idea of the end of the eternally recurring cycle of becoming and passing away. The death of Death in absolute solitude as the end of all life or the end of the end of all life?


Death as the end of all life is confronted by Svenja Wetzenstein as a painter in the last picture in the Wiesenblum cycle, danse macabre 29 (death and its painter) resolutely confronts death head-on. Her luminous red bodice signals the ultimate vital victory of the creative energy of a memento vivere over its counterpart’s memento mori with the scythe in its bony hand. Only art is able to banish death, as the painter Manfred promised his little pupil many years ago.


Another black-clad figure appears in Svenja  Wetzenstein’s Dance of Death images alongside Death – the medieval beak-masked plague doctor (series plague doctor >>>). Could this figure, in turn, be the artist as the counterpart of death? With his often-used mobile phone in his hand, however, he shows his contemporary affiliation, which is a particular concern of the artist. It is crucial to her “that they are situations recognisably located in the present.”15


In plague doctor is shopping 3, a bird-human hybrid grows out of the doctor’s mobile phone, as if borrowed from a Chinese puppet show. A special form of artistic understanding seems to exist between them. Fantasy in the sense of Novalis as a cure for the plague? 


In plague doctor is shopping 1, this plague doctor is in a supermarket. Is he about to put the goods from the bulging shopping trolley onto the checkout conveyor belt, or has he just added the last item from the checkout counter to the pile of goods? In the classical posture of contemplation, in the pause before a subsequent rapid movement, the slightly stooped figure turns on its own axis to the right side of the picture as its beaked head turns to the left and lets its watchful, scrutinising gaze behind the protective glasses glide beyond the picture's border. The doctor's hooded head overlaps an advertising poster hanging behind him on a wall that we cannot see. On this poster is a blonde woman whose eyes accompany the direction of the plague doctor's gaze. Have we caught him in the act of consuming, or is the world of consumption in need of his treatment?


An actual location is not ascertainable in this picture, as in all the other images in this series. Death and people, men and women, the old and the young, the fat and the thin, the poor and the rich meet by chance in their fancy dress and are drawn close to the field of vision in the snapshot of the moment. In a serious game, this encounter would amount to a sensation; here, against the background of the gen-eral masquerade, the appearance of death competes with the ordinariness of the banal. Nevertheless, danger lurks within. A solid ground of typical interaction is generally withdrawn from the figures at the festival, with few exceptions. 


People act in Death's constant accompaniment and presence but are concerned only with themselves in a bottomless illusory space. There is no longer a communal round dance with all in step and steady rhythm; it becomes a parable of the abolition of all differences in the historical dances of the dead.


With one exception.

In danse macabre 19 (death and girl), we see Death himself dancing with a young girl. In a touch-ing gesture, the child's tiny hand lays in Death's almost tender-looking bone hand in the centre of the painting, reminding us from afar of Michelangelo's heavenly-earthly touch of the hands of the just-created Adam with his creator, God. Simultaneously, the dancing girl’s red scarf evokes associations with Little Red Riding Hood and the evil wolf. The form of Death fills the right-hand half of the image, towers high like a dark mountain ridge in complete contrast to his leaning towards the girl. Turning as she dances, the child extends her right hand beyond the left edge of the picture, perhaps towards another dancer. Here, a Dance of Death takes place in the roundelay of becoming and passing away on the matrix of its eternal recurrence, as in all the other pictures in the series. This matrix is the wood grain as the ground of the paintings. The structure of the wood is the constant co-player of all pictorial drafts and their compositions. This matrix holds people together in their surrounding emptiness despite all the funfair sociability. We see how the grain's structure in the picture of the couple dancing together energetically flows from the left edge of the image like a wedge across the surface, surrounds the girl and continues to flow with the same impulse into the figure of Death. The wood’s cut surface combines with the colour of the skin and thus guarantees the incarnation of the figures. In the etymological
derivation of the word grain, this connection is contained in the comprehensive meaning of pattern, flesh and stigma.16

Vulnerability as a common intersection is the deep layer into which the surface of human activity is embedded. One thinks of Kant’s famous sentence that humans are made of such crooked timber that “no straight thing can ever be made”.17 The wood's structure is thus consciously used as aesthetic and content components by the artist.


However, in her pictorial compositions, the painter combines figure and ground above all by using a voluptuous fanning out of infinitely nuanced tone sequences in adjacencies and polarities. Individual dabs of colour leave the object zones on the surface and spill into the deep layers of the abstract draw-ing of the grain of their common ground, to the interface's humanitarian vulnerability common to all.


1: Heinz Norbert Jocks, „Ich beschäftige mich mit dem Tod, um ihn zu bekämpfen.“ A conversation with Jean Tinguely, in: Kunstforum international, vol. 115 (1991), pp. 266–275, here p. 266. 

2: Svenja Wetzenstein, unpublished manuscript, 2022.

3: Ibid.

4: Hellwig Linus, Vom Tod Gottes in Nietzsches „Also sprach Zarathustra“, Munich 2017.

5: Gerhard Richter/Jan Thorn-Prikker, Gespräch über den Zyklus „18. Oktober 1977“, in: Parkett. Kunstzeitschrift/Art Magazin, Nr. 19 (1989), pp. 127–136, here p. 128.

6: Thomas Leßmannn, Der Totentanz. Zur motivgeschichtlichen Genese und Aktualität eines didaktischen Mediums des Spätmittelalters, in: AugenBlick. Marburger Hefte zur Medienwissenschaft, Heft 43 (2008), pp. 15–27.

7: Johannes Meinhardt, Ende der Malerei und Malerei nach dem Ende der Malerei, in: Kunstforum international, Bd. 131 (1995), pp. 202–246. 

8: Susanne Weingarten, Der Tanz der Apparate, in: Der Spiegel 10/1994 (https://www.spiegel.de/kultur/der-tanz-der-apparate-a-835f77ad-0002-0001-0000-000013685708, accessed 6th October 2022).

9: Martin Luther, in: Evangelisches Gesangbuch, Lied Nr. 518, Kiel 2013.

10: Wiebke Hüster, Worin wir alle gleich sind. Tanz als existenzielles Erlebnis, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 12.09.2022, p. 13. See also Jürgen Kersting, Das Diesseits ist die Hölle, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 28.07.2022, p. 11.
11: I thank Susanne Lanwerd for this insight, Cultural theorist, Berlin/Zürich.

12: Rainer Stöckli, Zeitlos tanzt der Tod. Das Fortleben, Fortschreiten, Fortzeichnen der Totentanztradition im 20. Jahrhundert, Konstanz 1996, p. 52.

13: Svenja Wetzenstein, unpublished manuscript 2022.

14: Svenja Wetzenstein, Interview mit dem Tod, in: Künstlerbuch „Als eine Wiesenblum, die man nicht wieder find’t“ – ein Totentanz | Like a meadow flower that you can’t find again – a danse macabre, Bremen 2022, p. 35 und 65.

15: Svenja Wetzenstein, unpublished manuscript, 2022.

16: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, erarbeitet unter der Leitung von Wolfgang Pfeiffer, Munich 2000, p. 844.

17: Immanuel Kant, in: Isaiah Berlin, Das krumme Holz der Humanität, Berlin 2009, p. 5.

Ludwig Seyfarth: Letzte Bilder - Zur Malerei von Svenja Wetzenstein

Svenja Wetzensteins Diptychon final besteht aus zwei schmalen, hochformatigen Holztafeln, die links die Landung eines Hubschraubers und rechts, schräg von unten gesehen, einen in Krankenhäusern und bei bettlägerigen Patienten üblichen Ständer mit Transfusions-Schläuchen zeigen (Abb. >>>). Die Vorlagen für die beiden Bilder sind, wie immer bei Svenja Wetzenstein, Fotografien. Oft handelt es sich um eigene Aufnahmen der Künstlerin, hier um die beiden letzten Bilder, die ein schwerkranker Mann selbst mit seiner Handykamera in seinem Krankenzimmer und aus ihm heraus gemacht hatte, bevor er kurz darauf starb.


„Letzte Bilder“ waren auch die auf den Handys ermordeter syrischer Demonstranten gespeicherten Fotos, auf denen ihre Todesschützen zu sehen sind. Solche Bilder hat der libanesische Künstler Rabih Mroué 2012 im Rahmen seines Ausstellungsbeitrags auf der documenta 13 gezeigt. Hier handelt es sich, wie bei den Vorlagen für Svenja Wetzensteins final, um letzte Bilder der Fotografen selbst. Der Begriff des „letzten Bildes“ betrifft in der Fotografie meist „künstlerische, journalistische und private Bilder“1, die sterbende oder tote Menschen selbst ins Bild setzen. Man denke etwa an die eindringlichen Schwarzweißporträts, die der deutsche Fotograf Walter Schels von Menschen kurz vor und kurz nach ihrem Tod im Hospiz gemacht hat.


Die Kuratoren der Ausstellung Das letzte Bild. Fotografie und Tod im c/o Berlin sehen einen direkten Zusammenhang zwischen der etwa um 1800 einsetzenden Säkularisierung des Todes und dem Aufkommen der Fotografie: „War es bis dahin etwa in manchen Gegenden üblich, den Toten für ein letztes Mahl mit an eine gemeinsame Tafel zu setzen, stand mit der Fotografie ein Medium zur Verfügung, die vordem körperliche Präsenz der Verstorbenen durch eine bildliche zu ersetzen,“ die auch posthum erfolgen konnte: „...wenn jemand zu Lebzeiten nicht fotografiert worden war, wurde er oder sie vor allem im 19. Jahrhundert als Leiche fotografiert, dann jedoch nicht als erkennbarer Toter: Stattdessen wurden die Körper häufig so behandelt, dass sie auf dem Bild erschienen als ob sie schliefen.“2


Die Ambivalenz Schlaf/Tod verweist auch auf die paradoxe Beziehung der Fotografie zur Lebendigkeit: „Was ein fotografisches Bild festhalte, sei wahr und ist gewesen. Was es festhalte, sei daher das Leben selbst und nicht der Tod. Umgekehrt wird der Fotografie immer wieder attestiert, dass sie in Leblosigkeit erstarren lasse, was sie zeige.“3 Eine geradezu melancholische Beziehung zur Todesmetaphorik prägt Roland Barthes’ vielzitierten Essay La Chambre Claire. Barthes beschreibt das Fotografiert-Werden als eine Art imaginärer Tötung: „...dass ich GANZ UND GAR Bild geworden bin, das heißt der TOD in Person.“4


Es gibt eine archaische Angst, einem würde durch das Foto physisch etwas genommen. Auch dass aus dem Fluss des Lebens ein Moment herausgenommen, stillgestellt wird, kann, wie von Barthes, als imaginäre Tötung erfahren werden. Svenja Wetzenstein malt, wie schon gesagt, stets nach Fotos, und das ist ein wesentlicher Aspekt ihrer Kunst.Aber sie malt die Vorlagen nicht fotorealistisch ab oder überträgt technisch bedingte Eigenheiten oder Fehler wie Unschärfen direkt in die Malerei. Von den Fotos direkt übernommen sind vor allem die oft ungewöhnlichen Bildausschnitte, aber auch diese erhalten bei der malerischen Umsetzung eine inhaltliche, geradezu psychologische Dimension.


Bei final verweisen die Bildkompositionen direkt auf das begrenzte Sichtfeld eines ans Bett gefesselten Menschen. Und davon ausgehend lässt sich fragen, ob die ausschnitthaften Kompositionen von Interieurbildern wie Wohnzimmer, Gesteck oder Stuckdecke (Abb. unter Wind >>>) auch mit der Wahrnehmung von Menschen in Verbindung gebracht werden können, die sich räumlich nicht mehr fortbewegen können, selbst wenn die Fotos, auf deren Basis sie entstanden, nicht aus einem Krankenbett heraus gemacht wurden. Dann wird eine Wanduhr zum Vanitassymbol und aus dem menschenleeren Interieurbild insgesamt ein Stillleben, bei dem alles auf die Vergänglichkeit der Dinge und des Daseins verweist.


Das Stillleben ist auch eine Bildgattung, die schon von ihrem Namen her auf die Stillstellung aus dem Fluss des Lebens verweist und nicht nur durch die quasi protofotografische Naturtreue der meisten Stillleben-Gemälde die Stillstellung des Lebensflusses in der fotografischen Aufnahme suggeriert. Nun wird der Malerei – wie auch der Skulptur, siehe die Pygmalion-Sage – im Gegensatz zur imaginären Tötung durch das Foto oft die umgekehrte Fähigkeit zugesprochen, nämlich leblosen Dingen quasi Leben einzuhauchen.


Wenn in der Malerei von „letzten Bildern“ die Rede ist, dann meist von den letzten Bildern, die Künstler vor ihrem Tod gemalt haben. Solche Werke berühmter Maler wie Manet, Matisse, de Chirico oder Kippenberger zeigte die Ausstellung Letzte Bilder 2013 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt. Es wird von letzten Bildern aber auch in Bezug auf eine möglicherweise ans Ende gekommene Geschichte der Malerei gesprochen. Dieses Ende wollte der russische Künstler Alexander Rodtschenko schon 1921 programmatisch setzen: „Ich habe die Malerei zu ihrem logischen Ende gebracht und drei Bilder ausgestellt: ein rotes, ein blaues und ein gelbes, und dies mit der Feststellung: alles ist zu Ende. Es sind die Grundfarben. Jede Fläche ist eine Fläche, und es soll keine Darstellung mehr geben.“ Fortan konzentrierte sich Rodtschenko, zumindest was das Bildnerische betraf, auf die Fotografie. Aber auch nach 1921 wurde bekanntlich noch vieles gemalt, das wäre für eine Kunstgeschichtsschreibung, die einer linearen Entwicklungslogik folgt, letztlich „Malerei nach dem Ende der Malerei“5. Svenja Wetzensteins Malerei ist weit von einer Reduktion im Sinne einer finalen Entleerung des Bildfeldes entfernt – wenn man von den vielen „Leerstellen“ absieht, bei denen der Holzgrund des Bildträgers stehenbleibt. Gleichwohl lässt sich auch ihr Vorgehen als eine Selbstreflexion des Mediums im Sinne eines „nach“ begreifen. Ihre Bildmotive stammen aus der Gegenwart oder jüngeren Vergangenheit (etwa wenn sie Fotos aus ihrer Kindheit verwendet), aber wenn sie diese in die Malerei übersetzt, greift sie mit ihrer im weitesten Sinne „impressionistischen“ Malweise und mit Anklängen an die christliche Ikonographie auf kunsthistorische Bildtraditionen zurück, die sie geradezu geisterhaft wieder aufleben lässt.


Neben letzten zeigt Svenja Wetzenstein uns auch erste Bilder. Auf der dreiteiligen Serie neu (Abb. >>>) sieht man ein frisch geborenes Kind in verschiedenen Positionen liegend: zusammengekauert in eine Decke gehüllt, angespannt schreiend oder ganz nackt, neben ihm die Schere, mit der die Nabelschnur durchtrennt wurde. Die Haut ist in ihren differenzierten Farbtönen wiedergegeben: eine an die Auflösung in einzelne Farbflecken im Impressionismus erinnernde Darstellungsweise. Aber die Flecken auf der Haut können nicht nur als minutiöse Wiedergabe von tatsächlich vorhandenen Verfärbungen auf der Haut des Neugeborenen oder von Lichtwirkungen gelesen werden, sondern auch als Hinweis auf körperlichen Verfall und Tod.


Die bei der Serie neu anklingende Vorahnung des Todes bei der Darstellung eines Kleinkindes ist ein Kerntopos der christlichen Ikonographie bei der Darstellung der Maria mit dem Jesuskind. Das Bild Pietà (Abb. unter Staub >>>) zeigt eine Mutter, die ein Kind auf dem Arm trägt, am Fuße einer überlebensgroßen Pietà-Skulptur, bei der Maria den toten Christus auf dem Schoß trägt und beweint. Was auf einem touristischen Schnappschuss in einer Kirche eine sich zufällig und spontan ergebene Konstellation sein könnte, lässt sich hier als deutlicher Hinweis auf die Madonna/Kind-Ikonographie lesen. Deutlich, aber nicht eindeutig: Svenja Wetzenstein führt solche Referenzen nicht mit Zeigefinger vor, sondern nutzt die Prägung unseres kulturellen Bildgedächtnisses durch biblische Motive, das Assoziationen an diese oft fast unwillkürlich herstellt. Dieses Bildgedächtnis hat die Fotografie gleichsam von der Kunst- und Malereigeschichte geerbt. So werden wohl die meisten durch das Christentum sozialisierten Menschen Dorothea Langes berühmtes, während der Wirtschaftskrise in den USA 1936 entstandenes Dokumentarfoto einer Migrant Mother nicht betrachten können, ohne zumindest entfernt an eine Maria mit Kind zu denken.


In Svenja Wetzensteins Werk tauchen immer wieder Motive auf, bei denen biblische Themen wie von hinten durchscheinen. Wenn ein Kind uns auf seinem ausgestreckten, entblößten Arm ein Hämatom (Abb. unter Schatten >>>) vor Augen hält, erinnert das an den Topos des seine Wunden zeigenden Christus und der schlafend liegende, langhaarige Mann auf dem Bild Walhall (Abb. unter Schatten >>>) gemahnt an Darstellungen des toten Christus.


Auch die Aktivierung des Bildgedächtnisses an den Impressionismus betrifft nicht allein die Malweise. Die Serie unterwegs (Abb. >>>) erinnert kompositorisch an Pissarros Blicke von oben auf Pariser Boulevards oder an die sich verkürzenden Baumreihen auf den Flusslandschaften von Monet oder Sisley. Und wenn die Künstlerin als Kind in einem Gummiboot (Abb. unter Schatten >>>) auf einem See sitzt, greift dieses aus dem familiären Fotoalbum stammende Motiv unwillkürlich ein Bildmuster der Impressionisten auf, das wir etwa in Edouard Manets Im Boot (1874) oder Claude Monets Das Boot bei Giverny (1877) finden. Man könnte fast von einer Ikonographie der Freizeitbeschäftigungen6 sprechen, die sich aus der – selbst schon von Fotografien beeinflussten – Malerei des Impressionismus bis heute in die privatesten Schnappschüsse durchzieht.


Im Alltag, den der Impressionismus gleichsam bildnerisch dokumentierte, kommt der Tod nur selten vor. Eine radikale Ausnahme ist das Bild, das Claude Monet 1879 von seiner toten Frau Camille malte und das bei manchen Betrachtern den Verdacht hervorgerufen hat, dass der Maler mehr an den Lichtwirkungen als am Motiv interessiert war. Jedenfalls unterscheidet sich Monets Darstellungs- und Malweise deutlich von fotografischen „letzten Bildern“ und auch von der Art und Weise, wie Svenja Wetzenstein Motive ins Bild und malerisch umsetzt. Bei ihr gibt es nie größere Flecken und Striche und die Bildfläche ist nie vollständig bedeckt, sondern das Holz, das Svenja Wetzenstein stets als Bildträger verwendet, bleibt in vielen Fällen unbedeckt stehen.


Die meist kleinformatigen Bilder erhalten durch das Holz einen Objektcharakter, der an die Bildtafeln des Mittelalters erinnert – wieder eine Reminiszenz an eine christliche Tradition, wobei der Holzgrund genau dort zu sehen ist, wo einst ein Goldgrund den Bildträger bedeckte. Auf dem Holz erhält die Farbe eine oft raue und spröde Konsistenz und scheint sich auch über die freigelassenen Bildpartien zu versprühen. Dass sich die Konsistenz der Dinge in einzelne (dann mehr an den Pointillismus als an den Impressionismus erinnernde) Flecken und Sprenkel wie in Partikel aufzulösen scheint, kann wieder Assoziationen an die Vergänglichkeit des Daseins wecken – am Ende zerfällt alles zu Staub. Und das wäre dann auch ein „letztes Bild“.


1: Felix Hofmann und Friederich Tietjen in der Einführung in: Das letzte Bild. Fotografie und Tod, Ausst. Kat. c/o Berlin, Leipzig 2018, S. 17. Die beiden Kuratoren gehen davon aus, diese verschiedenen fotografischen Bildtypen hier erstmals in einer Ausstellung zur Todesthematik nebeneinder gezeigt zu haben.
2: Ebd.
3: Ebd.
4: Roland Barthes, Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie, Frankfurt am Main 1985, S. 23.
5: Am einflussreichsten wurden hier die Essays des amerikanischen Kunstkritikers Clement Greenberg aus den 1950er und 1960er Jahren. In Deutschland ist vor allem die philosophisch fundierte Argumentation von Johannes Meinhardt zu nennen in: Ders., Ende der Malerei und Malerei nach dem Ende der Malerei, Ostfildern-Ruit 1997.
6: Siehe dazu: Peter H. Feist (Hrsg.), Impressionismus. Die Erfindung der Freizeit. Mit Texten von Baudelaire bis Zola, Leipzig 1993.


Ludwig Seyfarth: Last Pictures - The paintings of  Svenja Wetzenstein

Svenja Wetzenstein’s diptych final consists of two small, portrait format wooden panels. On the right-hand side, we see a helicopter landing. On the left, viewed diagonally from below, a patient lays in a bed accompanied by the usual equipment with transfusion tubes (series >>>). As always with Svenja Wetzenstein, the source for these images are photographs.

She often uses photos she has taken, but these last two were made by a seriously ill, hospitalised man on his mobile phone shortly before his death. The photos saved on the mobile phones of murdered Syrian demonstrators were also “last pictures” showing the gunmen who killed them.


The Lebanese artist Rabih Mroué had shown such pictures as his exhibition contribution to documenta 13 in 2012.Here too, as with the source of Svenja Wetzenstein’s final, the photos were taken by the victims themselves. The term “last picture” as used in photography usually means “fine art, journalistic and personal photographs”1 which show dying or dead people. One thinks of the haunting black and white portraits that the German photographer Walter Schels made of people shortly before or after their death in a hospice.


The curators of the exhibition Das letzte Bild. Fotografie und Tod in c/o Berlin see a direct connection between the secularisation of death that began around 1800 and the development of photography: “For instance, before this point, it was common in some places to position their dead at the communal table for a final meal, whereas afterwards, photography offered a medium capable of substituting the physical presence of the deceased individual with an image… And in the nineteenth century in particular, if a person had not been photographed while alive, he would very likely be photographed after death, albeit not discernibly as a corpse. Instead, the body was typically prepared so that the individual appeared to be asleep in the photograph.”2


The ambivalence between sleep and death also refers to the ambiguous relationship of photography to vivacity: “… what photographs show is true and truly happened – so photographs capture life, not death. In contrast, critics repeatedly claim that photography freezes its subjects in an inanimate state.”3 Roland Barthes oft-quoted essay, Camera Lucida, characterises an almost melancholic relationship to the metaphor of death. He describes being photographed as a kind of imaginary slaying: “…that I have become Total-Image, which is to say, Death in person.”4


There is an archaic fear that a photo will physically take something away from one. Even a moment captured from the flow of life and fixed in time can, as Barthes describes, be experienced as an imaginary killing. As stated, Svenja Wetzenstein always paints from photographs; that is a significant aspect of her art. She does not, however, paint photo-realistically or transfer technically determined qualities or mistakes such as unsharp areas directly into her paintings. What she does take from photos are often unusual image details which acquire a substantive, almost psychological dimension during their painterly transformation.


The pictorial composition in final is determined by the limited viewpoint of a person confined to a bed. The question arises of whether section-like interior compositions, as in Wohnzimmer, Gesteck or Stuckdecke (p. wind >>>), can also be related to the perceptions of people who can no longer move in space, even when the paintings are not based on photos made from a hospital bed. In this case, a wall clock becomes a vanitas symbol and a deserted interior a still life in which everything recalls the tran-sience of things and being.


The still life is then also a genre of images that, by its very name, does not only suggest the standstill in the flow of life in the proto-photographic fidelity to nature of most still-life paintings but also in a photographic record-ing. Now painting – and sculpture, see the Pygmalion story – in contrast to the imaginary killing by the photo, is often attributed with the opposite capability of breathing life into lifeless things.


If we are talking about “last pictures” in painting, then they are mostly the last pictures artists have painted before their death. The Schirn Kunsthalle Frankfurt put on the exhibition Letze Bilder in 2013 with such works by famous painters like Manet, Matisse and de Chirico. Last pictures were also discussed in connection to the possible death of painting. The Russian artist Alexander Rodchenko wanted to set this death programmatically: “I brought painting to its logical end and exhibited three paintings: a red one, a blue one and a yellow one accompanied by the statement: Everything is over. They are the basic colours. Each surface is a surface, and there should be no more representation.” From now on, Rodchenko concentrated on photography, at least where the visual was concerned. Many more paint-ings were made after 1921, of course, but they were “painting after the end of painting”5 for a history of art that follows a logically linear development. Svenja Wetzenstein’s painting is far removed from reduction in the sense of a final emptying of the pictorial surface if one ignores the “empty spaces” where only the wooden picture base remains visible.

Nevertheless, one can understand her method as a self-reflection of the medium in terms of “after.” Her photos are from the present or the recent past (such as when she uses pictures from her childhood). When she transforms them into paintings in her broadly “impressionist” style with echoes of Christian iconography, she is falling back on an art historical tradition of images that she resurrects in an almost spectral fashion.


Wetzenstein also presents us with first pictures, not just last ones. In her three-part series neu we see a newborn child in three positions: huddled up in a blanket, tense and screaming and completely naked, the scissors used to cut the umbilical cord laying nearby. The skin colour is represented in differentiated tones, recalling the colour spot technique of Impressionism. These spots on the skin, however, are not just tiny renderings of the actual colouring of newborn skin or the effects of light but also hint at bodily decay and death.


The foreboding of death in the representation of the baby seen in neu (series >>>) is a central topos in Christian iconography, as we see in images of Maria with the baby Jesus. The Pietà (p. dust >>>) image shows a mother with a child in her arms at the foot of a larger-than-life Pietà sculpture of Maria weeping over the dead Christ lying in her lap. What could be a tourist’s snapshot of a spontaneous chance constellation in a church is here a distinct reference to Madonna and Child iconography. Distinct but not unambiguous: Svenja Wetzenstein does not deliberately point to such references, but uses our cultural visual memory shaped by biblical motifs to produce often almost involuntary associations. Photography has inherited this visual memory from the history of art and painting. Thus, most of those brought up within a Christian society could not see Dorothea Lange’s famous documentary photo taken during the financial crisis in the USA in 1936, Migrant Mother, without at least remotely thinking of a Maria and child.


Motifs with a biblical background consistently appear in Svenja Wetzenstein’s work. A child showing us a bruise on his bare, outstretched arm in Hämatom (p. shadow >>>) is a reminder of the topos of Christ displaying his wounds, and the long-haired, sleeping man in Walhall (p. shadow >>>) suggests a representation of the dead Christ.


The activation of visual memory is not limited to the painting techniques of Impressionism. Compositional reminders of Pissaro’s views of Parisian boule-vards from above or the diminishing rows of trees in river landscapes from Monet or Sisley are found in Wetzenstein’s series, unterwegs (series >>>). A family album photograph of her as a child in a boat on a lake in Gumminboot (p. shadow >>>) automatically picks up an Impressionist theme found in, for example, Edouard Manet’s Boating (1874) or Claude Monet’s The Boat at Giverny (1877). One could almost speak of an  iconography of leisure activities6 that extends from Impressionist painting – itself influenced by photography – to today’s private snapshots.


Death is seldom present in the everyday life documented visually by the Impressionists. One radical exception is the picture Claude Monet painted of his dead wife Camille in 1879, which led to accusations that he was more interested in the effects of light than the subject matter. In any case, Monet’s meth-ods of depiction and painting undoubtedly differ from photographic ‘last pictures’ and also from how Svenja Wetzenstein translates motifs into images and her painting method. She never uses large-scale marks and areas, and the surface is never completely covered – instead, the wooden picture bases that Wetzenstein uses are fully visible in areas.


This wooden base gives most of the small-scale images the character of an object that
recalls a medieval image panel – another reminiscence of a Christian tradition in which, here, wood can be seen where gold leaf would once have been. When applied to wood, the paint often has a raw and brittle consistency and also appears to spray over into the empty image areas. With the constancy of things seemingly dissolving into single spots and speckles like particles (more like Pointillism than Impressionism), the association with the transience of being is again triggered – every-thing turns to dust in the end. And that would also be a “last picture”.


1: Felix Hofmann and Friedrich Tietjen in the introduction to: The Last Image. Photography and Death. exh. cat. c/o Berlin, Leipzig 2018, p. 20. Both curators maintain that these various types of photographs have been brought together for the first time in this exhibition on the theme of death.
2: Ibid., p.19
3: Ibid.
4: Roland Barthes, Camera Lucida. Reflections on Photography, Hill and Wang, 1981, trans.bv Richard Howard, p. 14
5: The most influential of these were the essays by the American art critic Clement Greenberg from the 1950s and 1960s. In Germany, Johannes Meinhardt‘s philosophically well-founded argumentation is particularly noteworthy: The End of Painting and Painting after the End of Painting, Ostfildern-Ruit 1997.
6: See: Peter Feist (ed.), Impressionismus. Die Erfindung der Freizeit. With essays from Baudelaire to Zola..