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Projekte | projects

Artist in Residence: Künstlerhäuser Worpswede


In die Pilze!

Zwei Wochen in den Künstlerhäusern Worpswede

Es passte gerade so wunderbar. Ich begann, mich in mein neues Thema „Pilze“  einzuarbeiten, zu dem ich im weiteren Sinne nächstes Jahr zusammen mit Evita Emersleben ausstellen werde. Und da bot mir die Zeit in den Künstlerhäusern den idealen Einstieg. Erster Oktober. Schönstes Herbstwetter. Die Pilze schossen förmlich überall aus dem Boden. So war ich jeden Tag mit Handykamera und Pilzkörbchen unterwegs, um diese bizarren Lebewesen fotografisch festzuhalten (als Ausgangsmaterial für meine Bilder) und um sie zu ernten, um Sporenabdrücke zu erzeugen.

              

Die ersten Sporenabdrücke nahm ich drinnen im Atelier. Und stellte morgens überrascht fest, wie schnell sich die Biogenese von Maden vollzieht. War es abends noch ein fester Pilzhut, wimmelte es morgens schon höchst lebendig. Dabei stellte ich zu meinem Entzücken fest, welch zarte silberne Zeichnungen die Maden mit ihrer Körperflüssigkeit bewirkten.

             

Dennoch war es ein großer Luxus, die Experimente in den geschützten Pavillon in den Garten verlegen zu können, so dass Küche und Kunst weitestgehend getrennt blieben.

                   

Ich hatte viel Ruhe, um erste kleine Formate von Pilzen nach aktuellen Fotos zu malen.


Nach zwei intensiven Wochen verließ ich Worpswede um einige Ideen, Bilder, Eindrücke und Sporenabdrücke reicher.

Vielen Dank für diese wundervolle Zeit!!!


Svenja Wetzenstein

Artist in Residence: Künstlergut Loitz


Loitzies | loitzies, Auswahl aus 24-teiliger Serie, 2021/22,

Öl auf Holz | oil on wood, 15 x 15 cm

Lampen | lamps, Auswahl aus 12-teiliger Serie, 2022,

Öl auf Holz | oil on wood, 10 x 5 cm

Loitzies | Memory, 2022

Loitz – Simulakren und Memory

Ein Reittouristikheim der DDR. Von der Tischdecke über die Möbel bis zum Geschirr ist alles original erhalten. Die Räume atmen den Geist seit Jahrzehnten vergangener Momente. Die Zeit vergeht anders in diesem Gebäudeensemble. Eine Art Zeitkapsel.

Mitten in den bedrohlichen Ereignissen unseres Jahrzehnts in einem anderen Jahrtausend gibt es einen Ort, der wie eine doppelte Realität dazu einlädt, zwischen den Zeiten zu spazieren. Diese sind auch keine Idylle, eben geprägt von den damaligen Umständen. Und dennoch fühlt man in den Räumen, dass Menschen hier Frieden und Erholung suchten.

Freundliche Farben, entsprechend dem Trend der sechziger und siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts, fröhliche Muster, unbefangene Bilder an den Wänden.

Und an dieser Stelle wird die Doppelbödigkeit nicht nur spür- sondern auch sichtbar.

Unter jedem der freundlichen trivialen Bilder, der Stadtansichten, Strohblümchen, Kalenderblätter und Pferdefotos hat Barbara Camilla Tucholski eine neue Realität angelegt. Unter jedem Bild existiert das gleiche Bild noch einmal und gleichzeitig ganz anders. In Malerei übertragen, mit der Hand gefertigt, bewusst gesehen und erlebt, passiert die Vorlage Revue und wird verwandelt in etwas anderes, leise in die Atmosphäre des Raumes schwingendes. Und dieses andere existiert fast unbemerkt unter den harmlosen Bildern an den Wänden.

Diese Doppelung der Realität auf mehreren Ebenen ist das Moment, das mich bewegt, wenn ich diese Räume erlebe.


Das ist der Ausgangspunkt meiner Arbeit, für die ich für und während meines artist in residence im Frühjahr und Sommer 2022 das Künstlergut Loitz befrage und erforsche.

Dabei gehe ich von Fotos aus. Ich fotografierte die Zimmer, Teile des Interieurs, zufällige Stillleben mit der Kamera des Handys und auch mit der Polaroidkamera.

Dann begann ich Teile dieser Fotos in Malerei umzusetzen. Durch diesen Prozess dupliziere ich die Ebenen der Realität weiter. Ein Foto des Raums wird zum Bild des Fotos des Raums. Durch die Wahl des Ausschnitts, durch Hinzufügen oder Weglassen, durch Farbwahl und Duktus verdichte ich die Eindrücke. Durch den langsamen Malprozess reichere ich die Bilder mit meiner Lebenszeit an, erhöhe ihren Zeitlevel.

Für die Malerei wählte ich das Format 15 x 15 cm. Ein kleines Format, das die Intimität der Räume wahrt, in denen die Menschen Zuflucht vor ihrem Alltag suchten und ihr persönliches Glück erlebten. Und ein perfektes Format, gilt es doch in der euklidischen Geometrie als zweidimensionaler Hyperwürfel. Gleichzeitig erinnert es an eine Bühne, die den Blick auf inszeniertes Leben freigibt.


Wenn die Bilder fertig gemalt sind, werde ich sie fotografieren, diese Fotos ausdrucken. Von den gedruckten Fotos nehme ich mit Lösungsmitteln einen manuellen und einmaligen Druck ab, der zufällige Elemente enthält wie Farbverläufe, Verwischungen und weitere fast malerische Spuren.

Und um diese verschiedenen Ebenen der Realität zusammenzuführen, werde ich ein Memory drucken lassen. Das Spiel, das auf das Erinnerungsvermögen abzielt, das Paarungen herstellt und von der verzweifelten Suche nach Klarheit geprägt ist.

In einigen Fällen wird so das Bild an der Wand zu Barbaras Malerei, zum Foto, zu meiner Malerei, wieder zum Foto, zum seriellen Druck des Fotos, zum manuellen Unikatdruck und schlussendlich zur gedruckten Memorykarte.

Mit diesem Kinderspiel mit und in den Räumen des Künstlergutes Loitz können die Besucher*innen sich auf die Suche machen nach den Blickwinkeln, den Ebenen der Realitäten und der Atmosphäre vergangener Tage in den Räumen nachspüren, die wie ein leises Blätterrauschen immer noch in den Wänden hängt.


Ich habe von Zeit zu Zeit einen wiederkehrenden Traum:

In den Räumen in denen ich lebe, die ich kenne und die mir vertraut sind, entdecke ich unverhofft eine Tür, die ich noch nie bemerkte. Wenn ich durch diese Tür trete, komme ich in Räume, die genau so geschnitten sind wie die Räume die ich kenne in gespiegelter Anordnung. Sie sind genau so groß, vielleicht sind sie ein bisschen weniger licht, etwas blasser. Manchmal finde ich Spuren und Relikte früherer Bewohner*innen. Ich bin glücklich über die Möglichkeiten, die mir diese plötzlich geschenkten neuen Zimmer bieten. Ich nenne sie „Negativräume“, weil sie mich an das Negativ eines Fotos erinnern. Gleiche Formen bei anderer Hell-Dunkel-Verteilung.

Ich weiß nicht, ob man in Negativräumen schlafen kann.

Svenja Wetzenstein

DEEP SEA: Städtische Galerie Bremen / Ystads Konstmuseum


Ungeheuer 4 | monster 4, 2018,

Öl auf Holz | oil on wood, 40 x 30 cm

Serie Ungeheuer | series monster, 2018,

Städtische Galerie Bremen

Auge 1 | eye 1, 2018,

Öl auf Holz | oil on wood, 20 x 30 cm

Ungeheuer 1 | monster 1, 2018,

Öl auf Holz | oil on wood, 40 x 40 cm

Ungeheuer 6 | monster 6, 2018,

Öl auf Holz | oil on wood, 40 x 30 cm

Alexandra Waligorski: Ungeheuer

Nur wenige von uns werden jemals den Bewohnern der Tiefsee in den düsteren Tiefen des Ozeans begegnen. Nur erfahrene Taucher und Wissenschaftler werden Quallen, Kraken und Kalmare in dem scheinbar schwerelosen und grenzenlosen Zustand ihres natürlichen Lebensraums schweben sehen und mitbekommen, wie sie umherstreifen, jagen oder von anderen Wasserräubern gejagt werden.


Die meisten von uns werden sie nie in Aktion und in ihrer vollen Schönheit bewundern – eine Schönheit, die fast unvorstellbar ist, wenn man bedenkt, wie die formlosen Kadaver aussehen, die hin und wieder vom Meer ausgespuckt an unseren Ufern angespült werden.


Svenja Wetzensteins Gemälde Ungeheuer von 2018 beschäftigen sich mit diesen dekontextualisierten Tieren, sei es als zerklüftete, verwundete Körper am Strand oder als isolierte Exemplare, die in Aquarien dahinsiechen. Sie analysiert die populäre Darstellung von Architheutis dux, dem Riesenkalmar, einer Art, die zu den größten lebenden Organismen zählt und in allen Ozeanen der Welt vorkommt.


Im Zentrum von Wetzensteins Bildern steht eine ungleiche (Inter)Aktion, die von der Neugier und Dominanz der Menschen getrieben wird: der wissenschaftliche Blick. Anhand von Fotografien, die aus Zeitschriften und anderen Medien stammen, zeigt uns die Künstlerin, dass unser Verständnis dessen, was diese Kreaturen sind, auf einer Konstruktion und nicht auf einer wesentlichen Wahrheit beruht.


Was wir sehen, ist eine gallertartige Ansammlung von Augen, Tentakeln und Muskelgewebe. In Wetzensteins Interpretation ist das fleischige Motiv in hellen, pastellfarbenen Ölfarben auf Holztafeln gemalt. Die Bilder sind durchzogen von durchscheinenden Partien, in denen die Maserung des Holzes wellenartige Strukturen hervortreten lässt. Der Farbauftrag ist stellenweise lasierend, stellenweise besteht er nur aus leichten Sprenkeln. Die deckend gemalten Flächen bilden hingegen eine facettenartige Struktur, die wie Perlmutt schimmert. Hierdurch erreicht Wetzenstein einen traumhaften, malerischen Eindruck, der an Märchenillustrationen denken lässt und auf die jahrhundertealten Mythen verweist, die mit den Kreaturen der Tiefsee verbunden sind.


Das von der Künstlerin referenzierte Bildmaterial ist jedoch weder historisch noch fiktiv, im Sinne einer literarischen Schöpfung. Es behauptet, faktisch zu sein, auch wenn es von Menschen gemacht ist und nur sorgfältig ausgewählte Teile der Realität abbildet. Die Kalmare, die Wetzenstein darstellt, sind aus ihrem natürlichen Lebensraum gerissen und existieren nur als Studienobjekte, um unseren Wunsch nach dem Extremen, dem Monströsen und dem Verborgenen zu veranschaulichen und zu befriedigen. Aber die zugrundeliegende Frage ist: Wer ist das eigentliche Monster in jedem dieser Bilder? Der zerlegte, gefangene oder verendete Tintenfisch? Der Mensch, der auf das langsam zerfallende Fleisch eines sterbenden Tieres starrt? Oder die mediale Maschinerie hinter der Kamera, die den Moment der Begegnung als spektakuläre Gegenüberstellung des Überlegenen und seines „Anderen“ umrahmt?

Alexandra Waligorski: Monster

Few of us will ever encounter the inhabitants of the deep sea in the murky depths of the ocean. Only experienced divers and scientists will see jellyfish, octopi and squid floating in the seemingly weightless and limitless state of their natural habitat, and how they roam, hunt or are hunted by other predators.


Most of us will never admire them in action and in their full beauty - a beauty that is almost unimag-inable, considering the formless carcasses that are spewed on our shores at times from the sea.


Svenja Wetzenstein‘s Monster from 2018 deals with these decontextualized animals, whether as rugged, wounded bodies on the beach or as isolated specimens that languish in aquariums. It analyzes the popular representation of Architheutis dux, the giant squid, a species that is one of the largest living organ-isms and is found in all oceans in the world.


At the center of Wetzenstein‘s paintings is an unequal (inter)action, driven by the curiosity and dom-inance of human beings: the scientific gaze. Using photographs from magazines and other media, the artist shows us that our understanding of what these creatures are is based on a construction, not a material truth.


What we see is a gelatinous accumulation of eyes, tentacles and muscle tissue. In Wetzenstein‘s interpretation, the fleshy motif is painted in bright, pastel-colored oil paints on wooden boards. The pictures are permeated by translucent parts in which the grain of the wood gives rise to wave-like structures. The paint application is glazed in places, in places it consists only of light speckles. The opaque painted surfaces, on the other hand, form a faceted structure that shimmers like mother-of-pearl. As a result, Wetzenstein achieves a dreamlike, painterly impression that is reminiscent of fairy-tale illustrations and refers to the centuries-old myths associated with the creatures of the deep sea.


However, the pictorial material referenced by the artist is neither historical nor fictitious, in the sense of a literary creation. It claims to be factual, even if it is man-made and depicts only carefully selected parts of reality. The squids that Wetzenstein represents are torn from their natural habitat and exist only as study objects to illustrate and satisfy our desire for the extreme, the monstrous and the hidden. But the underlying question is: who is the real monster in each of these pictures? The decomposed, caught or died octopus? The human staring at the slowly decaying flesh of a dying animal? Or the media machinery behind the camera, which framed the moment of the blending as a spectacular juxtaposition of the supe-rior and his “other”?

ReFORMation • erneuern - wandeln - überschreiten | renew – transform – exceed

Blindbogenausgestaltung | shaping blind arch | Kulturkirche St. Stephani Bremen


Nachtvogel

Nachtvogel ist das alte, bis zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gebräuchliche Wort für Nachtfalter.1 Der Nachtfalter bzw. Nachtschmetterling ist seit der griechischen Antike ein Symbol für die Seele des verstorbenen Menschen bzw. für deren Unsterblichkeit. Das griechische Wort für Schmetterling ist Psyche.2


Der Schmetterling ist ein „Sinnbild zugleich der Kurzlebigkeit wie der ewigen Fortdauer, wurde den Menschen schon in früher Zeit zum Gleichnis und Wappentier der Seele“.3 Der Aspekt der Unsterblichkeit ist auf die Metamorphose der Raupe zum Schmetterling zurückzuführen. Ein anderes Wort für den Schmetterling ist Seelenvogel.


Sowie der Tod den Menschen aus der sterbliche Hülle befreit, so verlässt der Schmetterling seine dunkle Puppenhülle.Die Raupenmühen entsprechen dem mühevollen irdischen Dasein, die Verwandlung zum wunderschönen, fliegenden Falter entspricht der Befreiung der Seele und ihrer Aufnahme in den Himmel. Er ist also ein Sinnbild für die durch den physischen Tod nicht zu zerstörende Seele.4


Der Nachtfalter wird häufig auf Grabsteinen abgebildet, um die Hoffnung auf Wiederauferstehung darzustellen. Besonders beliebt war dieses Symbol in der Zeit der Romantik (siehe Abb. oben: Gertrudenfriedhof Oldenburg; Stein von 1818).

Das Bild des Schmetterlings hat eine besondere Bedeutung für Holocaust-Opfer. In den Kinderbaracken des Maidanek-Lagers in Polen wurden Hunderte von Schmetterlingsbildern gefunden, die mit Hilfe von Steinen und Fingernägeln in die Wände gekratzt wurden. Den Kindern war bewusst, dass sie sterben würden, sie stellten sich vor, sie würden sich nach dem Tod in Schmetterlinge verwandeln.

S.W.

1: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/roesel1761bd4 (Zugriff | access 30.12.2019); 2: Karl Kerényi: Urbilder der griechischen Religion, Klett-Cotta, S. 121; 3: Hermann Hesse: Schmetterlinge, Insel Bücherei Nr. 1348, Berlin, 2011, S. 12; 4: Udo Becker: Lexikon der Symbole, Komet Verlag, Köln, 1992, S. 260.

Nachtvogel | night bird, 2017,

Wandmalerei | wall painting, ca. 400 x 210 cm

Nightbird

Nightbird is the old term for a moth and was used until the second half of the 18th century.1 Moths and night butterflies are both symbols of the soul that ascends from the deceased and of immortality. This imagery exists in Ancient Greece. The Greek word for butterfly is “psyche”.2


Butterflies are an allegory both of ephemerality and eternity and became a simile and heraldic animal of the soul in early times.3 It hints at the belief in immortality. The aspect of immortality leads back to the metamorphosis of the caterpillar into a butterfly. Another word for butterfly is soul bird.


In the same way as death releases people from their body, butterflies leave their dark pupa. The labour of the caterpillar corresponds to the toilfilled existence in the world of any creature; the metamorphosis into a beautiful floating butterfly corresponds to the release of the soul and its arrival in heaven. It is an allegory of the soul that cannot be destroyed by physical death.4


Moths are often shown on tombstones. They are images of the hope for resurrection. In the Romantic era this symbol was especially popular (refer to upper image Gertrudenfriedhof Oldenburg; tombstone from 1818).


The image of the butterfly has a special meaning for Holocaust victims. Hundreds of butterfly pictures were found in the children‘s barracks of the Majdanek concentration camp in Poland. They were scratched into the walls by the children using stones and fingernails. The children were aware that they were going to die, and imagined they would turn into butterflies after death.

S. W.


1: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/roesel1761bd4 (Zugriff | access 30.12.2019); 2: Karl Kerényi: Urbilder der griechischen Religion, Klett-Cotta, S. 121; 3: Hermann Hesse: Schmetterlinge, Insel Bücherei Nr. 1348, Berlin, 2011, S. 12; 4: Udo Becker: Lexikon der Symbole, Komet Verlag, Köln, 1992, S. 260.